In den letzten zwei Jahren zeigte sich der Unmut über politische und wirtschaftliche Verhältnisse besonders stark in kleinen wie in großen Protestbewegungen. Ob im großen revolutionären Stil wie in Nordafrika oder im kleinen beschaulichen Schwabenländle Stuttgart; ob in Tel Aviv, Spanien oder Chile, der gesellschaftliche Unmut über politische und wirtschaftliche Herrschaftssysteme schlägt mit voller Wucht zu und gibt zum Ausdruck, was global empfunden wird: Eine politische und wirtschaftliche Krise.
Die Komplexitätszunahme und die Beschleunigung Politik und Wirtschaft entzaubern Manager und Politiker und ihre Strategien. Das Vertrauen in Regierungen ist erschüttert. Der Bankencrash, die Eurokrise ... unzählige Ereignisse, für die es keine Lösung zu geben scheint. Die postheroischen Strategien in Wirtschaft und Politik sind in der Folge darauf reduziert, sich auf den nächsten Schritt zu konzentrieren und dabei vor allem keine Fehler zu machen, die das Publikum, also die Kunden, Konsumenten oder die Wähler, als Fehler wahrnehmen könnten. Der Spielraum für Helden, Heldinnen und Heldentaten ist klein geworden.
Besonders in Momenten der Verunsicherung scheint Kunst ein verlässlicher Partner für gesellschaftliche Selbstreflexion zu sein. Der Kunst wird in der Gesellschaft eine besondere Aufgabe zuteil: Sie schafft Dissens, macht sichtbar, sie stellt einen neuen Bezug zwischen Schein und Wirklichkeit sowie zwischen Sichtbarem und seiner Bedeutung her. Zudem wird ihr im gesellschaftlichen Diskurs eine Heil bringende Wirkung zugeschrieben. Wir vertrauen der Kunst, da wir in ihr Ehrlichkeit vermuten. Die subversiven Strategien der Kunst in der Interaktion von Werk, Künstler und Publikum kennen die verhängnisvollen Selbstbeschränkungen nicht, die auf Wirtschaft und Politik liegen. Künstler spielen ohne Angst vor Fehlern mit allen möglichen Formen herum, sie probieren andere Sichtweisen aus, sie erfinden die Welt mit jedem ihrer Werke neu. Sie schaffen andere Verbindungen und Zugänge, sie erschließen Möglichkeiten und Möglichkeitsräume, sie leisten Pionierarbeit in der Gesellschaft für und gegen die Gesellschaft.
So werden künstlerische Formen wie die der „esthetique relationnelle“ auch für politische und ökonomische Kontexte immer bedeutungsvoller. In ihr werden die Grenzen zwischen dem aktiv Kunstschaffenden auf der einen Seite und dem passiv beobachtenden Zuschauer auf der anderen Seite aufgelöst. In der „esthetique relationnelle“ geht es um eine prinzipielle Gleichheit von Zuschauer und Künstler, die nur in Interaktion gleichermaßen ein Kunstwerk zum Leben erwecken. Ein Prinzip, das sich auch auf die demokratischen Grundsätze westlicher Industrienationen übertragen lässt, die jedoch in der realen Umsetzung scheitern.
Einen Beitrag, die politischen und wirtschaftlichen Blockaden aufzubrechen, kommt von Künstlern, die sich bereits aktiv mit der Beziehung von Wirtschaft und Kunst in ihren Werken auseinandersetzen.
In teilweise ironischer Form werden organisatorische Unternehmensstrukturen adaptiert und künstlerisch umfunktioniert. Res Ingold, beispielsweise spielt mit Wirklichkeit und Simulation, indem er die fiktive Fluggesellschaft Ingold Airlines1 betreibt. Das Unternehmen bietet alles, was man sich als Passagier wünscht: Eine Fluggastbegleitung, ein VIP-Service, ein Mitgliederclub, ein Cargo-System und ein Shuttleservice. Was fehlt, ist der Passagier. Bei Ingold Airlines stehen die Ideen im Mittelpunkt statt die Passagiere. An der Grenze zu Realität und Simulation eröffnen sich neue Wege und Möglichkeiten. In der Konsequenz kann man die Frage nach der Zugehörigkeit der Fluggesellschaft zu Kunst oder Wirtschaft nicht mehr beantworten.2
Auch das Künstlerduo Com&Com3, gegründet von Marcus Gossolt und Johannes M. Hedinger, spielt mit
dem Beziehungsgeflecht von Wirtschaft und Kunst. Mit ihrem Projekt Mocmoc4 (2003-2008) gewinnt das Künstlerunternehmen Com&Com im Jahr 2002 den Wettbewerb der Gemeinde Romanshorn für die künstlerische Gestaltung ihres neuen Bahnhofplatzes. Um die gelbe, an ein Pokémon erinnernde Figur spinnt die Künstlergruppe eine Gründungslegende für die Gemeinde. Als sich herausstellt, dass die Legende frei erfunden ist, löst "Mocmoc" eine Krise aus, die die Gemeinde in zwei Lager spaltet.5 Empörung und Enttäuschung schlägt den Künstlern entgegen, die das Kunstprojekt bewusst als Auftragskunst negieren und für ihre Zwecke umfunktionieren. Com&Com selbst beschreiben das als „gezielte Partizipations-, Provokations- und Aufmerksamkeitsstrategie über den Kunstkontext hinaus“.
Neben Com&Com oder Res Ingold lassen sich zunehmend ähnliche Konzepte finden, in der Kunst als Reflexionsebene wirkt. Beispiele sind die REINIGUNGSGESELLSCHAFT oder Quest-Lumiere. An der Universität der Künste Berlin haben sich erstmals Studierende des Studiengangs Gesellschafts- und Wirtschaftskommunikation (GWK) mit dem Thema befasst. Beleuchtet wird, wie Politik und Wirtschaft die Strategien der Kunst konstruktiv nutzen können.
Am 24. Februar 2012 wird dazu an der Universität der Künste ein Symposium veranstaltet. Im Mittelpunkt stehen Künstler und ihre Strategien, die auf eine mögliche Implikation in ökonomische und politische Kontexte untersucht werden sollen. Dazu werden eine Vielzahl interessanter Gäste aus den Bereichen Kunst, Wirtschaft und Politik erwartet, um gemeinsam einen Begriff zu verhandeln, der in einer definierten Form bisher noch nicht festgeschrieben wurde. Anschließend wird am 25. Februar im Fachbereich Art in Context ein Workshop zu diesem Thema veranstaltet.
Die Auseinandersetzung mit dem Begriff Strategic Art stellt auf den ersten Blick vielleicht einen ungewöhnlichen Versuch dar, nach neuen Lösungswegen aus einer allgemein empfundenen Stagnation zu finden. Doch bietet es gleichsam interessante Ansätze, Potenziale für Politik und Wirtschaft aufzuzeigen und künstlerische Strategien als Ressource zur Überwindung gesellschaftlicher Selbstblockaden zu nutzen.
Quellen:
http://www.ingoldairlines.com/start_set.htm http://www.medienkunstnetz.de/werke/ingold-airlines/bilder/2/ http://www.com-com.ch/de/ueber
http://www.mocmoc.ch/ http://strategic-art.blogspot.com/2011/11/ist-mocmoc-strategische-kunst.html